▲

Inhalt

GRAF KARLFRIED VON DÜRCKHEIM ZUGEEIGNET

Duerckheim
Der vierteljüdische nationalsozialistische Propagandist und Geistesheiler Karlfried Dürckheim (im Jahre 1940). » Biographie

Einleitung

Vorauszuschicken ist Bohners letzte Fußnote (ursprünglich nach Kōan 60): Abschließend sei bemerkt, daß in der Aussprache- und Leseweise der Kōan den persönlich gegebenen Angaben des japanischen Verfassers des Buches gefolgt worden ist. Was das Auffinden von Textstellen in anderen Quellen nicht unbedingt erleichtert. Viele der Sprüche Sōtei Akaji’s sind Zitate aus dem Zenrin Kushū, einer Anthologie von etwa 5-6000 Zen-Sinnsprüchen (geordnet nach Zahl ihrer Kanji), die 1688 erstmals unter diesem Titel erschienen ist (Hrsg.: Ijushi), jedoch in Manuskriptform auf Tōyō Eichō (1429–1504) zurückgeht und nicht nur Kōans sondern auch Zitate aus der klassischen chinesischen, taoistischen und konfuzianischen Literatur heranzieht. Soweit Quellen gefunden wurden, sind teilweise weiterführende Anmerkungen am Ende des entsprechenden Kōan für die Webpräsentation angefügt.

Alle Sinne, sagt ein bekanntes Wort, empfangen in dem Tee-Raume: das Ohr hört das Wasser sprudeln und kochen, welches in dem Kessel über dem Feuerbecken für den Tee bereitet wird; in diesem Laute ist für den Cha-jin (道人, den Tee-Meister, den Menschen des Tee, den „sich mit Tee Befassenden“) das Ganze des Cha-dō (茶道 des Wegs des Tee, des Tee-Wesens) zusammengefasst enthalten; wer in die reine friedliche Stille des Tee – Raumes tritt und dies Quellen und Tönen vernimmt, der, heißt es, fühlt sich schon aller gemeinen Welt entrückt; dem Rauschen der Lebensbäume, der Föhren, wird dieser Laut verglichen. – Was alles aber wird dem Auge dargeboten! Eine Welt des Augensinnes ist der Tee-Raum, sind die Handlungen und Vorgänge darin: innigstes In-sich-Sein, Muße, Schau, Konzentration, das, was wir den Pavillon nannten (chinesisch: 鋠子, T'ing-tse) am See, überm Strom am Hang, hoch im Gebirge – Einsamkeit und In-sich-Sein und zugleich weiteste Schau; alles, was unser Pavillon will, zumal in seinen schönsten Formen und Lagen, in den großen Parks der Könige, in der Hütte hoch am Alpenjoch, hat Ursprungsbeziehung zu dem chinesischen T'ing-tse und seiner großen Schau, zu der Weite seines Natur-Schauens, und der Tee-Raum ist in seiner geschichtlich verfolgbaren Entwicklung letztlich eben solch ein T'ing-tse, eine Genien – Stätte des Schauens. Zusammen aber faßt sich diese Welt in ihrer Weihestätte, in der Toko-no-ma (床の間) und hier in den Blumen. In einer Blume übergab Shakamuni wortlos dem großen Jünger das Ganze seines Wollens und Wissens. – Duft strömt die Blume aus und spendet einem Sinne, der noch Feineres, noch Unbeschreiblicheres vernimmt als Auge und Ohr. Oft wird auch eigens Wohlgeruch entzündet, vollends bei ausdrücklich gearteter Teefeier. Wie zwischen Meister und Schüler bei der ersten Zen-Begegnung Weihrauch angezündet wird, wiewohl Zen allem rituellen Weihrauchbrennen gleichmütig gegenübersteht, so geschieht Ähnliches oft bei der Tee – Begegnung. Wohlgeruch ist etwas dem T'ing-tse seit frühestem Verbundenes; wie die Dichter immer wieder davon singen, so wissen die alten Weisen um jedes Kraut der Berge, um jede Blüte, um Duft und Essenz, um Heilwirkung und Geschmack. Tee – das ist vor allem sodann Schmecken des Tees. Es ist sehr eigentümlich, wie vor allem anderen gerade das Schmecken, der Geschmack betont wird. So ihr nicht esset und trinket, so habt ihr kein Teil daran – in Essen und Trinken liegt wie in kaum einem Anderen unsre Existenz; beschreiben, durchdenken, begrifflich fassen, läßt sich ja letztlich die Existenz nicht, man muß teilnehmen. Geh, schmecke den Tee! (Kōan 45) das ist Summa des Tee, ist Summa des Zen. Zen und Tee, heißt es weiter, sind Ein Geschmack (Kōan 1). Unser Buch stellt diesen Leitspruch (Kōan) als ersten allen andern voran. Die Bedeutung des in diesem Kōan (公案) Gesagten gerade in der geschichtlichen Entfaltung von Tee und Zen in China und sodann in Japan möge an anderer Stelle ausführlicher erörtert werden.

Endlich und nicht zuletzt wird dem Tastsinn das Allermöglichste im Tee-Raume dargeboten und zugleich damit an ihn die höchsten Fragen und auch höchste Anforderungen gestellt: zu fühlen und dadurch innerlich zu verstehen, gibt es das Edelste an Formungen, Gefässen, Geräten, Wölbungen, Glasuren; der japanische Tastsinn ist vor andern ausgebildet; jahrelange Schulung oder auch ursprüngliche Plastiker-Begabung führt hier ein; denn dieser plastische Sinn scheint anderwärts weithin verkümmert, vernachlässigt, beiseitegeschoben. Beim Tee, vollends bei dem, wie er heute ist, spielt das plastisch-rezeptive Können eine außerordentliche Rolle. Über die Geschichte der Entfaltung desselben sei an anderer Stelle gesprochen.

Alle Sinne, sagt so das bekannte Wort, kommen im Tee-Raum zu ihrem Recht. Und, fährt es fort, dem Geiste wird das Schriftzeichen, das Wortbild dargeboten. Meist geschieht dies als Hängebild (Kake-mono) in der Weihestätte. Aber auch die Schriftbilder und Texte auf Gefässen und Geräten wollen beachtet sein. Die Summa des Tee, ja gerade dieser Teegemeinschaft, der wir beiwohnen, liegt in dem Schriftbild. Der Gastgeber hat es unter vielen vielleicht eigens gewählt; ja vielleicht, wenn er ein Meister der Schrift oder des Tee oder des Zen ist, hat er sogar die Worte ausgesucht komponiert und sie geschrieben, sie in Schriftzeichen geformt. Vielleicht aber ist das Schriftbild nur ein runder Kreis (Kōan 2), oder es ist ein einzelner kräftiger Strich, Eins bedeutend (Kōan 30) – über dies Eins gibt es eine ganze Literatur; begreiflicherweise mag dieser einzelne einzige Pinselzug Prüfstein sein und Offenbarung der ganzen Person, und Tausende haben sich schon an dieses Eins gewagt. Daher die Fülle der Literatur, die davon berichtet. Meist aber besteht das Schriftbild aus vier Zeichen; gelegentlich ist es ein Doppelspruch, Thesis und Antithesis in je vier oder auch je drei Zeichen.

Natürlich wird dies äußere Schriftbild gesehen und aufgenommen von den Augen, mittelst des Gesichtsinns. Aber wie kaum irgendwo sonst dringt hier durch das Äußere und mit Augen zu Sehende das an Geist und Person sich Wendende hervor. Bisweilen wird das Äußere der Schriftkunst, dies ihr wie jeder anderen der bildenden Künste Eignende, das ausgesprochen sog. Künstlerische, das Formhafte, Geschickliche mit Absicht von den Schreibenden zurückgewiesen und kühn vernachlässigt: ganz unbeholfen, ganz direkt, ohne „Kunst“ wird dann geschrieben. Aber in dieser Unbeholfenheit kommt die größte Beholfenheit, kommen Person und Geist selbst mit einer Unmittellbarkeit und Radikalität hervor, wie sonst kaum je – eine ganze Geistes- und Religionsgeschichte liegt hier wie verborgen, geht hier parallel ein großes Studium mag an diese Schriftbilder, und zwar an die Schrift derselben, verwendet werden. Auch Epigonen, mittlere und kleinere Geister, Unfreie versuchen natürlich jene Unbeholfenheit (wie wir es nannten) eines Großen nachzuahmen, kommen freilich damit nicht weit. Für den Sehenden liegt hier alles offen zutage; es gibt da keine Beschönigung, die nicht erkannt wird; es gibt (würden wir sagen) kein Erbarmen; das Wahre, das Große tritt hervor. Freilich – im Sinne des Cha-dō (茶道) fortfahrend – gibt es gerade da das größte Erbarmen: das Armseligste, Dürftigste auch, das sich als solches ehrlich gibt, wird aufgenommen; der Mensch ist immer arm – das ist ein Grundzug menschlicher Existenz, sagt Cha-dō (茶道) – und wartet eines Anderen, der leeren Teeschale gleich, die des sich füllenden Tees wartet. – Schon in der Schrift des Schriftbildes als solcher mag so dem Sehenden Zen-Sinn, Tee-Wesen (Cha-dō) entgegentreten.

Ein solches Schriftbild hängt also da in der Weihestätte. Niemand vielleicht spricht davon, niemand blickt besonders darauf. Aber im Innern ist der Geist darauf gerichtet, ist darin gesammelt, verweilt darin. Wo Worte darüber gesprochen werden, bleibt doch ein Ungesprochenes. Das Ungenügen alles Redens wird spürbar, wird vielleicht auch einmal besonders hervorgekehrt. Der ernste Teil der Teefeier, der gemessene, verhaltene, vergeht; es folgt ein zwangloser Teil, vielleicht auch zuerst ein Teil mit nur halb gelockerter Strenge und dann erst der ganz zwanglose – aber noch immer, gerade jetzt erst recht, bleibt jenes Schriftbild; der Geist, aus der Weihe herausgetreten, nimmt es mit in die Welt, in den Tag-um-Tag. Es ist ihm ein Kōan, ein Führer, eine Aufgabe, ein ihm Gegebenes, das er selber erst voll durchdringen wird und zur Existenz bringen – wie eine Frucht ist es, ihm gegeben zu Nahrung und Genuß, eine Frucht, von der er immer nimmt, auch wenn er das Tor des stillen Tee-Gemach-Gartens längst verlassen hat. Ja, jetzt gerade, wenn scheinbar alles, was der Tee bot, verschwunden ist, mitten im Berufe wird es Wirklichkeit werden. Das Leben alle Tage, das ist es, das ist der Tee (Kōan 33); da zeigt sich, was es um das im Tee-Gemach Aufgenommene ist. Es ist, als sei jemand hoch in den Himalaya–nahen Bergen gewesen und habe von stiller Warte aus die Ströme durchs Gebirge fluten sehen und hohe Worte sind ihm hörbar geworden – und nun kommt er zurück; aber Berg und Strom sind noch immer um ihn, ja jetzt erst recht zeigt sich ihre Frische und Macht, und was er vernommen, führt ihn.

Ein Buch solcher Führungsworte (Kōan) also ist uns im Folgenden gegeben, und jemand hat sich aufgemacht und spricht etwas über sie und zeichnet sogar das Gesprochene auf, daß man es nachlesen kann. – Sage uns, was du in den Bergen erlebt hast, was dir bei deiner letzten Fahrt die Alpen gegeben haben, die Matten, die Blumen, der Gletscher, der Blick über Tal und Strom! – die am meisten und tiefsten erlebt haben, wissen oft am wenigsten es zu sagen; und doch übertragen sie es, vielleicht mit ihren kärgsten Worten. In der Tee-Literatur, die sehr umfangreich ist, beobachtet man oftmals ein eigentümliches Unvermögen, davon zu sprechen, eine Inkonsistenz in der Rede oder, wie man es immer nennen mag; es ist vergleichsweise, wie wenn ein Handwerksmeister, ein in praktischer Leistung erstrangiger Techniker über sein Tun zu sprechen aufgefordert ist. Und doch lernt sich gerade hier meist weit mehr für den, der zu hören vermag, als in langen gelehrten, logisch – gerechten Worten.—

Was wir zunächst hier sagen bzw. beifügen müssen, ist, daß, dies Buch ja Übersetzung ist. Die Sprache, in die übersetzt wird, ist oftmals nicht adäquat demjenigen, das übersetzt wird. Zunächst, in den Kōan dieses Buches, werden Schriftbilder übersetzt. Bei den Schriftzeichen aber bleibt Einzahl, Mehrzahl, Kasus, grammatische Verbindung ungefragt; deutsche Übersetzung kann nicht derart unbestimmt bleiben; ein Etwas geht verloren. Zweitens ist der Text Übersetzung aus dem Japanischen. Das Japanische aber hat Eigenheiten, die wir nicht recht nachmachen können; Einzahl, Mehrzahl bleiben meist ungenannt; ich, du, er, wir, ihr, sie – die Person bleibt meist unbestimmt. Das gerade gibt einen besonderen Reiz. Bei Zen, wo das Ich in das Du, in das All leicht übergeht, übergehen soll, ist solche Sprache eigenwertig und eigentümlich. Die Beziehungsetzung erscheint im Japanischen weithin als eine äußerst lockere. Als Beispiel sei hier der japanische Kasus absolutus (wa ∼は) genannt.

Wir kamen eines Tages gerade dazu, als durch eine in einer Schilfhalde am Waldrande lagernde Jungvolkgruppe Waldbrand entstand. Wir halfen sogleich, so gut es ging, mit löschen, indem wir aus dem nahen Bach Wasser beitrugen. Da dies aber nicht wirklich fruchtete, rannte ich ins nahe Dorf, rief die Bauern zu Hilfe. Die Bauern herzueilend fuhren mich heftig an, hätten wohl noch mehr getan, als der Führer der Junggruppe jetzt energisch dazwischentrat und rief: Der Waldbrand bin ich. Genau war, was er sagte, nur, daß zwischen dem Waldbrand und ihm selber eine Beziehung bestünde; welche, war in diesem Falle klar. In sehr vielen Fällen aber ist diese Beziehung undeutlich, vage, bleibt ungesagt.

Bei Erklärung von Zen-Worten ist diese Lockerheit der Beziehung besonders eigentümlich. Nicht nur die einzelnen Worte bzw. Teile des einfachen Satzes sind so locker zueinander gesagt; lange Perioden sind in gleicher Weise locker aneinander gereiht. Beispielsweise mag der Japaner einen Satz anfangen, um dann im Verlaufe des längeren Satzes sich von dem ursprünglichen Subjekte gleichsam abzuwenden; am Schlüsse der Satzperiode wird etwa eine Wendung hinzugesetzt wie „ist zweifelhaft“ oder „ist aus alten Schriften“ – bis zu welchem Satzgliede der Periode dieser abschließende Zusatz reicht und Geltung hat, bleibt bei der Lockerheit der Verbindung oft reichlich unklar. Befragt man mehrere Japaner bei Texten solcher Art, so mag man auch mehrere, oft sehr voneinander abweichende Antworten erhalten. Das will nicht sagen, daß es kein strenges klares Japanisch gebe. Es gibt wissenschaftliche Darlegungen, Auseinandersetzungen, Vorträge, Abhandlungen von größter Präzision, von vollendeter Konsequenz; aber was unser Buch gibt, ist etwas anderes. Der Verfasser plaudert. Diese zwanglos hingesprochene Sprache hat vollends ihr Ungewöhnliches. Alle die Erscheinungen, die wir oben als so eigentümlich gekennzeichnet haben, sind in besonderem hohem Maße vorhanden; japanisch spricht und hört sich das ganz leicht; Übersetzung macht schwer, macht umständlich, macht z. B. Unbestimmtes bestimmt, Ungesagtes gesagt und anderes mehr. Sie muß es tun, zumal hier. Übersetzung also bittet um Rücksichtnahme des Lesers.

WAS IST EINE GUTE ÜBERSETZUNG?
„Es gibt drei Arten von Übersetzungen:

  1. philologische,
  2. ästhetische oder ästhetisierende,
  3. wirkliche.

Die philologische mag überall am Platz sein, nur nicht beim Buddhismus, die ästhetische mag bei Kunstwerken am Platz sein, die wirkliche ist die einzig mögliche beim Buddhismus und seinen Schriften.

Die drei unterscheiden sich folgendermaßen:

  • die philologische Übersetzung hängt ganz am Wort, einzig und allein aus dem Wort soll sich der Sinn ergeben.
  • Die ästhetische geht auf den Sinn; aus dem Sinn soll sich das Wort ergeben,
  • und die wirkliche ist die, in der Wort und Sinn, Form und Inhalt sich gegenseitig bestimmen.

Das Wort an sich kann hier freilich nie den Sinn ergeben; es ist Diener und dient der Wahrheit wie dem Irrtum, aber damit ist nicht gesagt, daß nun der Sinn das Wort ergeben soll, anders ausgedrückt: Daß man vorher, a priori des Wortes wissen muss, was gemeint ist, um den Sinn des Wortes zu verstehen.“
Sagt Paul Dahlke in seinem Verriß der Neumannschen Übersetzung des Pāli-Kanon, wohl auch um seine eigene Teilübersetzung unter den Scheffel zu stellen. Was von derartigem Anhaften zu halten ist sagt uns Kōan 9! (Im Übrigen hat Paul Dahlke obige Bemerkung 1926 frei von Goethe im West-östlichen Divan übernommen.)

Anzumerken ist auch, daß die (im Westen) populäre Ansicht was denn „Zen“ sei konzeptionell inkoheränt ist und außerdem eine auf einer Fehldeutung der traditionellen Zen-Lehre (bzw. Doktrin) beruht. Monastischer „Zen“ ist eine der am meisten ritualisierten Arten buddhistischer Lehre, die zugehörige „Erleuchtung“ ist keine die Kulturen und Geschichte transzendierende subjektive Erfahrung, sondern ein sorgsam choreographiertes, öfffentliches Ritual. Kōan als Gattung, sind weit davon entfernt „Vernunft“ zu überkommen. Ganz im Gegenteil ist ihr „Üben“ (Studium), eine verfeinerte Form der Exegese kanonischer Texte; ohne breites Wissen über solche ist eine „Lösung“ des Sinnspruches kaum möglich. (A. M.)

Aber, wie schon angedeutet, mag man, zweitens, sagen: das Buch selbst, der Urtext, bittet um Geneigtheit des Lesers. Manche Erwartungen mögen nicht befriedigt, manche Anforderungen nicht erfüllt werden. Es gibt im Japanischen hochphilosophische Werke über Zen genug; es gibt zahlreiche, hohen kritischen Ansprüchen Genüge leistende historische Darstellungen und Erörterungen; im Shotoku-Taishi-Werke haben wir einiges referiert. Aber dies Buch ist von anderer Art; der Mann, der darin spricht, mag wirklich erscheinen wie ein Werkmeister, der aus seinem Fache berichtet, oder wie jemand, der von der Gebirgswanderung zurückgekommen, uns mit kargen Worten Bericht gibt. In solcher Rede gibt es gelegentlich einen regelrechten Sprung, oder es wird eine Sache nur halb ausgeführt, eine Geschichte nur bruchstückweise erzählt, Historisches frei behandelt, ein Zen-Wort ohne das zu ihm unerlässlich gehörige Gegenstück gegeben; auf vieles wird nur hingedeutet, als müsse es ja im einzelnen bekannt sein. Auch sucht sich der Verfasser, offenbar aus vielem Umgang mit bei ihm Lernenden heraus, seinen Hörern oder Lesern gewissermaßen anzupassen; ein mannigfaltiges Publikum sieht er vor sich, hoch und nieder, alt und jung, und nimmt Kontakt mit ihm. An dieser Stelle zum Beispiel, sagt mir ein japanischer Freund, geht der Verfasser ganz auf die zahlreichen jungen Naturwissenschaft Studierenden ein; er spricht in ihrer Art. Anspassung ist es, was doch so anders erscheint. An anderer Stelle genügt seine Ausführung gewiß nicht dem Biologen. Darüber moniert, würde der Verfasser sicher die Sache, nämlich das dort gegebene Beispiel aus dem Leben, ohne Bedenken etwas anders formen. Wieder an anderen Stellen spricht er, wie man im Osten so oft spricht, nur andeutend, beim Wissenden Gewußtes nennend. – Der Leser muß sich sozusagen letztlich selbst ermitteln, wie er es mit dem Verfasser halten will.

Da ist aber vieles auch, was in der Weise, wie es gegeben wird, nicht durch den Verfasser und seine Art allein bedingt ist. Ein so befremdend – eigentümliches und doch so richtiges Wort wie das vom Balken im eignen Auge, ein dem Abendlande gewohnt gewordenes Wort, wird der Mensch des Ostens, zum ersten Mal es hörend, vielleicht gar nicht verstehen; er kennt auch die ganze Umwelt des Wortes nicht. Umgekehrt aber gibt es ähnliche Worte im Osten, die dem Abendländer zunächst äußerst befremdend klingen; wie Steinklötze sind sie, ihm in den Weg geworfen; er kennt die ganze Umwelt des betreffenden Wortes nicht, hat das Wort nicht von Kindheit an vernommen, es nicht unzählige Male schon gehört. Manche Gleichnisgeschichten aus Volksmund wollen auch nicht akkurat genommen sein; nur ein einzelner bestimmter Zug interessiert daran. Der Alte von Sai (Kōan 29) ist solch ein Volksgleichnis: Glück wie Unglück reißen ihn nicht mit sich fort, verwirren ihn nicht; das allein ist dem Gleichnis wichtig; die Nebenzüge kommen nicht in Betracht. Der mit dem Gleichnisse aber nicht von früh an Vertraute bemerkt meist zuerst gerade die Nebenzüge; sie hindern ihn, das einfach zu sehen, wofür die Gleichnisgestalt, einem Monumente gleich, steht. Da sind ferner andere Dinge, auf Schritt und Tritt in diesem Buche, aus anderem Bereiche. Goethe’s Über allen Wipfeln ist Ruh oder Verse der „Zueignung“ oder die letzten Sätze im „Faust“ sind dir seit alters vertraut; man braucht nur an diese Klaviatur in deinem Innern zu regen, so erklingt eine ganze Welt; du glaubst, bei jedem ändern müße es eben so sein. In diesem Buche sind überaus zahlreiche Verse, darunter des Ostens allerberühmteste; aber klingen sie bei dir? Du bist ihrer gar nicht gewohnt; du und deine Umwelt haben zunächst gar keine Verbindung zu ihnen. Für den hiesigen Menschen aber sind sie etwas Ähnliches wie dir jene Verse Goethes. In einem dem Abendländer vielleicht zunächst ziemlich unzugänglichen Verse (Kōan 56, Anfang) steckt, wie seit alters gesagt wird, das Ganze des Tees, des Cha-dō. Spätere Ausführungen, insbesondere auch geschichtlicher Art, mögen das verständlich machen. [An einigen wenigen Stellen des Buchs geben wir, den Ausführungen des Verfassers parallel, zwecks Verdeutlichung eigene Ausführung, gekennzeichnet als „Andere Form.“ H. B.] Andre Verse (Kōan 58, Schluß und Mitte) bergen wie ein Senfkorn in sich eine ganze Religions- und Geistesgeschichte. Dem Abendländer auch tritt in ihnen etwas davon nahe; aber wie bekannt-thematisch solche Worte für Zeitalter um Zeitalter waren, wie ungezählt oft zitiert und ausgesprochen, das ist ihm fern und unbekannt. Auch solche einfacheren Dinge wollen beachtet und verstanden sein, wie etwa wenn von höchster Reinheit, Schönheit gesprochen wird. Für uns ist der Schwan mit seinem reinweißen Gefieder Bild höchster Reinheit, Schönheit; im Osten ist es der Reiher, der Kranich. Die Himmlischen tragen bei den Germanen Schwanengewand; das Himmlische entschwebt im Schwanengewande zur Höhe; Schwanengesang singt der ins Himmlische Scheidende. Singend entschwindet im Osten der Kranich aufwärts, himmlisch werdend. Der Inhalt des Symbols ist beide Male dasselbe; der Ausdruck, das Vogelbild, ist landschaftsgemäß verschieden. Licht ist Leben; weiß, die Farbe des Lichtes, das Höchste an Schönheit. Weißer Reiher auf weißem Schnee (Kōan 56) ist im Volksmunde vergleichsweise wie jenes Goethe'sche das Unbeschreibliche, hier ist’s getan. Und so fort. Laotse sagt: Dreissig Speichen treffen sich in einer Nabe: auf dem Nichts daran, (, Mu) auf der LEERE (, ) beruht des Gefährtes Brauchbarkeit – ein Wort von außerordentlicher Tiefe und oft als Summa des Cha-dō angesprochen; die leere Teeschale (das Gefäß und sein Nichts, seine Leere) ist Urausdruck dafür. Wie nahe Laotse und Tee und auch T'ing-tse zueinander gehören und wie stetig durch Jahrhunderte der Geschichte der Einfluß Laotse’s hier ist, möge an anderer Stelle ausgeführt werden. Das Buddhistische, vor allem Zen, hat ebenso den Inbegriff „Leere.“ In einfacher Weise mag man so sagen: das gewöhnliche Negative ist das gewöhnliche Mu (Nicht – oft auch übersetzt: Nicht-sein) im Gegensatz zu U (; dem Sein); wo aber Mu, das ist: „Nicht-positiv-Nicht-negativ,“ „Nicht-Leben-Nicht-Tod,“ wo alles „Nicht“ ist, da ist das absolute Nicht, das über alles hinausgehende Nicht, das „Leere“ (vgl auch Kōan 34). Abendländische buddhologische Werke haben hier reichlich Material gegeben. Eine umfangreiche Scholastik bzw. Scholastik-Geschichte wäre hier zu entwickeln. Seit Jahrtausenden ist Mu und dem Menschen des Ostens vertraut. Auch in der Gegenwart gipfelt des bekanntesten japanischen Philosophen, Nishida Kitaro's, Denken in diesem Mu, dem es Grund alles Seins und darum selbst Mu (nicht mehr zu nennen, Un-Sein) ist. Der Verfasser des vorliegenden Büchleins gebraucht dies Mu, dies , (pänomenloses Wahres , 無相眞空, Musō-shinkū) außerordentlich oft; es ist ihm und seinen Lesern so vertraut, wie (sagen wir) uns der kategorische Imperativ mit dem damit so eng verbundenen „Ding an sich.“ Dabei wird bei uns zunächst auch nicht jeder gefragt, ob er die Tiefe und Weite des kategorischen Imperativs bei Kant ermesse, über dem Kant, nach Wegräumung alles Stören-mögenden der theoretischen Vernunft und wieder in eigentümlicher Parallelisierung mit ihr, den Himmel seiner Metaphysik wölbt; und wer von dem Ding an sich spricht, wird nicht sogleich gefragt, wie weit er es begreife und wie weit er etwa die große Denkarbeit des Kritizismus, wie sie RIEHL gibt, durchdacht und aufgenommen habe; und vollends stellt kaum jemand die Frage, ob (– vielleicht sehr naiv gesprochen –) es dieses „an sich“ „das Ding an sich“ überhaupt gebe; ebenso wenig wie dem mit keiner Beziehung mehr zu umschreibenden Mu Nishida’s gegenüber gefragt wird, ob es denn Grund alles Seins sein könne.

Der imaginative Buddhismus prägt andre Ausdrücke. Gerne spricht er vom Spiegel. Der Spiegel hat kein Herz für sich (Jin-nōshōtōki); alles gibt er wieder, wie es ist. So spricht der Verfasser von dem Großen Vollkommenen Spiegel-Wissen, dem A und O alles Buddhismus, besonders desjenigen der Mantram-Richtung.

Mu bzw. aber bleiben nicht im Bereiche des Denkens stehen; sie wenden sich an den ganzen Menschen. Der Mensch, sagt einer unserer Zeitgenossen, projiziert sein Erleben. Er schafft Karten des Firmaments, der Erdkugel, eines Gebirges. Sie geben gute Orientierung; aber die Karte ist doch nicht das Firmament oder das Gebirge selbst. Es ist, wie wenn der Mensch sich im Spiegel sieht: sehen kann sich der Mensch nur im Spiegel, aber der Mensch selbst ist nicht im Spiegel. Auf der flachen Projektion sind zudem die Verältnisse verschoben. Das mehrdimensionale Ganze läßt sich auf jede Fläche projizieren; es gibt daher die mannigfaltigsten Projektionssysteme. Von hier aus wird verständlich, sagt dieser Mann, warum Wissenschaft so oft dazu sich gedrängt fühlt, zu denken, daß sie alles umfasse, alles beherrsche; sie findet ja alles und jedes, was sie benennen kann, in ihre Karte eingezeichnet; es wird verständlich, warum es der nur objektive Tatsachen berücksichtigenden Wissenschaft oft unmöglich war, religiös bestimmte Zeiten überhaupt zu verstehen. – Der Verfasser unsrer Schrift, vielleicht als solcher ein einfacher Werkmeister, steht in einer Tradition, die gleichsam versucht, nicht in der Flächenprojektion zu bleiben, sondern im Ganzen zu stehen. Luthers außerordentlich heftiger Kampf gegen Aristoteles liegt in verwandter Richtung.

Aber solche Haltung fortzuführen, bedarf es besonderer Klarheit. Wenn ein Zeitalter eine große Gestalt der Vergangenheit wissenschaftlich nun nach allen Seiten hin besonders gut eruiert zu haben glaubt und theoretisch – wissenschaftlich und auch praktisch in strenger Nachfolge alles getan scheint – läuft sie nicht oft dann gerade Gefahr, am Lebendigen der Gestalt selbst vorüberzugehen? Über Goethe hat Stefan George gesagt, daß, wenn er heute käme, er als ein ganz anderer erschiene, zunächst kaum erkennbar den Heutigen. Aus lebendigem Dichter-Erleben ruft George es einer Zeit zu, die nahezu jedes Wort Goethe’s katalogisiert hat und ganze Bibliotheken über Goethe besitzt. Um es in Ausdrücken zu sagen, die in Zen und Tee viel gebraucht werden und die uns aus dem Japanischen und Chinesischen her eines Tags viel beschäftigen mögen: das Tai corpus, das Innerste, ist freilich in allen Zeiten gleich; aber das (der "Gebrauch", die "Anwendung" und damit die äußere Erscheinung,) ist verschieden. Die Menschen aber, sagt ein bekanntes Wort, meinen, vom Tai einer Erscheinung ergriffen, es sei das und alles komme auf das an, und sie stellen dieses fest und ahmen das nach und ahnen nicht, daß ohne das Tai es auch dieses gar nicht gibt. Das Tai freilich ist etwas, wo der Mensch selbst letztlich gar nichts ist; was in ihn hinein gegeben ist, das ist es. – Die leere Teeschale ist nicht etwas dem abendländischen Erleben So Fernestehendes, wie dies auf den ersten Anblick erscheinen mag. Auch das Mu das nicht.

Hermann Bohner
Hermann Bohner (1884-1963), ca. 1936.

Der Verfasser bittet im Vorworte, dies sein Buch ja nicht zu „schwer,“ nicht umständlich nehmen zu wollen. Vielleicht mag man sagen: seine Bitte ist, es nicht zu schwer und dann auch wieder nicht zu leichtgewichtig nehmen zu wollen. Daher sein unablässiges Dringen auf das Üben, das Sich-läutern, das „die Klinge blank halten“ und anderes mehr. Mir persönlich gegenüber sagt er, er sei von frühen Jahren an viel praktisch mit Zen befaßt gewesen und habe früher nie daran gedacht, derart etwas zu schreiben; aber jetzt,– setzt er dann wie abrupt dazu, und es ist, wie wenn man die Wandlung merkte – jetzt habe er es geschrieben. Es ist, wie wenn er sagen wollte: Früher lag mir das Schreiben fern. Dann kam eine Zeit, wo es mir näher rückte, und ich zum Schreiben neigte. Diese Gefahr ist auch vorüber. In diesem Buch habe ich eigentlich gar nicht geschrieben. Von Zen, von Cha-dō her ist er immer in diese schweigend-beredte Richtung gewiesen. Nicht über den Apfel sprechen will er; das machen andere; den Apfel dir zu essen geben, dich mit dem Apfel nähren will er. Vielleicht ist dabei der, der den Apfel gibt, selbst nicht, wie du es dir vorstelltest und dachtest; aber der Apfel ist gut und nährt. Geh! geh! komm! Komm! (Kōan 40) heißt es da; oder: nimm, was du nehmen willst und kannst, und nähre dich – und alles andere kümmere den rechten Sinn nicht.

HERMANN BOHNER